Wein dekantieren – hohe Schule oder sinnloses Ritual?

    Aus Wein-Lexikon.de

    Es macht schon etwas her, wenn der Gastgeber mit weihevoller Miene eine Flasche Wein öffnet und den roten Saft über einer eigens entzündeten Kerze in eine kunstvoll geschwungene Karaffe umfüllt. So schmeckt der Wein doch gleich viel besser! Aber stimmt das wirklich? Ist das Dekantieren tatsächlich Pflicht für jeden echten Weinliebhaber oder nur eine überflüssige Zeremonie?

    Dekantieren bedeutet, den Wein vor dem Genuss von der Flasche in eine gläserne Karaffe, den so genannten Dekanter, umzufüllen. Es gibt dafür zwei unterschiedliche Gründe: Erstens, den Wein vom Depot zu trennen, also von den Ablagerungen, die sich in der Flasche gesammelt haben und die man ungerne im Glas haben möchte. Und zweitens, ihn in Kontakt mit Sauerstoff zu bringen, ihn „atmen“ zu lassen. Beide Methoden verlangen jeweils eine andere Vorgehensweise, andere Dekanter und werden bei verschiedenen Weinen angewendet – und beide sind ziemlich umstritten.

    Variante eins, das Trennen des Weins vom Depot (siehe Video links), bildet das eigentliche Verfahren des Dekantierens. Seiner Wortbedeutung nach heißt Dekantieren nämlich vorerst nicht mehr, als Flüssigkeit von einem unlöslichen Feststoff abzugießen. Die Methode wird somit auch bei zum Beispiel Kaffee oder Soßen angewendet. Für Weintrinker wird sie interessant, wenn sie einen reifen Jahrgang vor sich haben, bei dem sich durch die lange Lagerung Weinstein, Farbstoffe und Gerbstoffe zum Depot verfestigt haben. Damit die zwar unbedenklichen, aber nicht besonders ästhetischen Schlieren nicht mit ins Glas gelangen, wird der Wein über einer Lichtquelle, klassischerweise einer Kerze, langsam in den Dekanter umgegossen, bis die Ablagerungen im Flaschenhals sichtbar werden.

    Variante zwei, die „Belüftung“ des Weines (siehe Video rechts), hat mit dem Dekantieren in seinem ursprünglichen Sinn nichts gemein, und wird denn auch korrekterweise „Karaffieren“ genannt. Karrafiert werden im Gegensatz zum Dekantieren ausschließlich junge, noch nicht ganz ausgereifte Weine. Empfohlen wird, den Wein mehrere Stunden vor dem Genuss aus der Flasche in eine breite Karaffe zu gießen, die ihm möglichst viel Fläche bietet, um durch den Kontakt mit Sauerstoff eine beschleunigte Reifung der oft noch sehr herben Gerbstoffe herbeizuführen. Der kantige Geschmack soll dadurch geschmeidiger werden, die Aromen intensiver und runder.

    Aber Vorsicht: Während das Karaffieren von jungen Weinen für viele Weinliebhaber notwendig, zumindest aber unbedenklich ist, hat es bei reiferen Weinen den gegenteiligen Effekt. Je länger der Luftkontakt, umso mehr verliert der Wein, er „stirbt weg“, oder aber er „kippt um“, das heißt er verdirbt. Es gilt daher: Je jünger der Wein, desto früher darf er mit Luft in Berührung kommen. Ältere Weine jedoch sollen so wenig Luftkontakt wie möglich haben. Werden sie dekantiert, um das Depot zu entfernen, empfiehlt es sich, bis kurz vor dem Servieren damit zu warten und eine Karaffe mit geringer Oberfläche zu verwenden.

    Umstritten – und mitunter beinahe philosophisch umkämpft – bleibt die Frage, inwieweit das Dekantieren und Karaffieren denn nun nötig oder aber reine Spielerei sei. Kritiker betonen, dass sich aufgrund der technischen Filtermethoden in der Weinherstellung sowieso kaum in einem Wein noch ein Depot findet und das Dekantieren damit zunehmend zu einer sinnentleerten Show wird. Von der anderen Seite wird dem vehement widersprochen und das Depot als Qualitätsmerkmal naturbelassener Weine in die höchsten Höhen gelobt.

    Die Meinungen zum Karaffieren gehen ebenfalls meilenweit auseinander: Anhänger würden ihren Wein ohne mehrstündiges vorheriges Belüften gar nicht trinken. Anderen reicht das Atmen im Glas, wieder andere würden auf einen noch nicht ausgereiften Wein besser gleich ganz verzichten oder betonen wissenschaftliche Studien, denen zufolge die Prozedur rein gar keine Wirkung auf den Wein habe.

    Die Expertenstimmen helfen einem hier also nicht so recht weiter, man wird wohl selbst ausprobieren müssen, wie man seinem Gaumen die größte Freude macht. Achtet man auf die besonderen Ansprüche der unterschiedlichen Weine, steht dem fröhlichen Hantieren mit Dekantern und Karaffen dabei nichts im Wege.